Mâyâ, Maria, Musica Mundana

 

Die Welt als musica mundana ist sicherlich eines der archetypischsten und auch treffendsten Symbole für die Schöpfung; drückt sie sowohl die mathematische proportio aus nach der alles „gemessen und gezählt“ ist (Weis. 11:21) und die in ihren Relationen eine harmonische Ordnung erkennen bzw. „erklingen“ lässt, sowie auch die inhärente consonantia[1] des Seins, die „Einheit in Vielfalt“ der Schöpfung als Ganzes, in der die Verschiedenen Dinge, „in einem Wohlklang erklingen, wie die verschiedenen Saiten der Zither“, wie Honorius von Autun bemerkt.

 

„Betrachtest du die Schönheit und Großartigkeit des Alls … so wirst du sehen, dass es einem schönen Gesange gleicht … und dass die Kreaturen durch ihre Vielartigkeit … in einer wundersamen Harmonie zusammenklingen und ein wunderbar fröhliches Konzert aufführen“ (Wilhelm v. Auvergne, De anima V, 18).

 

Das Symbol der Weltenmusik deutet darüber hinaus jedoch auch auf den durchaus ambivalenten Charakter der Mâyâ, die als „Schleier“ das Antlitz Gottes sowohl verdeckt wie offenbart, „gleich einer leichten Wolke, die die Sonne sichtbar macht“, wie der Sufi sagt, denn „niemand schaut mein Antlitz und lebt“ (Ex. 33:20).

 

Es ist dies die Ambivalenz des Naṭarāja, des tanzenden Shiva, dessen Tanz das Spiel (lîlâ) vorstellt, das der Höchste in der kosmischen Manifestation (mâyâ) mit sich selber spielt, das ewige Spiel von Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung, die musica mundana, die uns einerseits in die Illusion (avidyâ-mâyâ) „verstricken“ kann und anderseits der Tanz ist, durch welchen der Gott „die Illusion (mâyâ) vertreibt und das Unwissen (avidyâ) niedertrampelt“ (Unmai Vilakkam), so dass es heißt, dass niemand die Wiedergeburt sehen muss der diesen mystischen Tanz geschaut (und durchschaut) hat; ein Doppelcharakter dem Shiva als „Transformator“ einerseits und „Zerstörer“ anderseits (vor allem unter dem Aspekt seiner Kali-Shakti) sowieso immer schon zukommt.

 

Als Gott von Wandel und Entstehung, Tod und Wiedergeburt ist Shiva-Kali dabei nicht nur mit Tanz und Musik, sondern auch mit den „Urwässern“ und der „Zeit“ (kala = Zeit) auf engste verbunden, eine Assoziation die sich in exakter Weise auch in der Bibel finden lässt, wo wir die Musik ebenfalls stets in Verbindung mit der „Flut“, sowie mit der zyklisch-„fließenden“ Zeit finden können, welche stets zerstören und erneuern was der Mensch auf dem „Land“ bzw. im „Raum“ errichtet; eine Symbolik,  wie sie u.a. im Wasser der Taufe, welche gleichzeitig Tod und Wiedergeburt ist, auch im Leben der Kirche eine zentrale Rolle spielt.

 

Die Musik „enthüllt“ und „gebiert“ nicht nur, sie „verdeckt“ und „tötet“ auch; nicht nur leitet sie, im engelischen Posaunenstoß der Offenbarung, die Zerstörung und Neuschöpfung der Welt ein, sie ist auch die verführerische Kraft die Israel zum Götzendienst verführt: „Sobald ihr den Klang der Hörner, Pfeifen und Zithern, der Harfen, Lauten und Sackpfeifen und aller anderen Instrumente hört, sollt ihr niederfallen und das goldene Standbild verehren, das König Nebukadnezzar errichtet hat“ (Dan. 3:5); ja, man könnte wohl sagen, dass aller Götzendienst immer ein „Tanz“ ums goldene Kalb[2] ist, der von Musik begleitet wird und so ist es kein Zufall, dass uns in der Schrift gerade der Kainit Jubal als der „Stammvater aller Zither- und Flötenspieler“ (Gen. 4:21) begegnet. Das Aufkommen der Musik tritt uns in der Genesis also als ein zusätzlicher „Schleier“ entgegen, mit dem sich der Mensch nach dem Fall „umhüllt“, ein weiteres Entfernen vom paradiesischen Zentrum. Auf der anderen Seite ist es jedoch das Harfenspiel Davids welches den König Saul von seinem „bösen Geist“ heilt; hier ist es also gerade die Musik, die, als vidyâ-mâyâ, die „Anamnesis“ bzw. die Heilung von Illusion und Täuschung, bewirkt; „singet dem Herrn ein neues Lied!“ (Ps. 98:1).

 

Musik kann also sowohl einen „zentripetalen“ (bzw. „sattvatischen“), als auch einen „zentrifugalen“ (bzw. „tamastischen“) Charakter haben, wobei der erste „apollinisch“ und der Melodie zugeordnet, der zweite „dionysisch“ und „rhytmisch“ zu nennen ist; der erste erhebt, etwa im Gregorianischen Choral, den Geist zu Gott, zum Noumenalen [3], der zweite zieht ihn, etwa im Schamanischen Tanz, bis zur animalischen Ekstase sich steigernd, in die „unteren Wässer“, den dionysischen Rausch [4], der von Nietzsche so ausgiebig gepriesen wurde. Es mag an dieser Stelle interessant sein anzumerken, dass es gerade diese „tamastische“ Musik ist, die (etwa in Form des Rock’n‘Roll) die antinomischen und subversiven gesellschaftlichen Entwicklungen der jüngeren Zeit (etwa die „Sexuelle Revolution“), stets auf Schritt und Tritt begleitet und auch der Einzug der spezifisch „rhytmischen“ Instrumente in die Liturgie, vor der St. Pius X in seinem Motu Proprio Tra le sollecitudini noch so eindringlich warnte, scheint vor den Wirren des 2. Vatikanums mehr als bezeichnend; die „Herrschaft der Kali“, so scheint es, wird stets „mit Pauken und Trompeten“ eingeleitet.

 

Die Musik ist also sowohl „zentrifugal“ wie „zentripetal“, vidyâ- und avidyâ-mâyâ; ein Doppel-Charakter den sie mit aller Schönheit, bzw. „Weiblichkeit“[5] an sich, teilt, woher, nebenbei bemerkt, auch das Gebot zur Verschleierung der Frau rührt. Diese tritt einmal auf als „Frau Torheit“ (avidyâ-mâyâ), die „fremde Frau“ der salominischen Weisheit, die auf den „krummen Weg“ führt und ver-führt und einen geradewegs „hinab in des Todes Kammern“ lockt (Spr. 7:27); das andere Mal erscheint sie als „Frau Weisheit“ (vidyâ-mâyâ), die „Meisterin aller Dinge“ (Weis. 7:21), die „einweiht in das Wissen Gottes“ (Weis. 8:4).

 

Ein Bild der ersteren finden wir in Salome, die Herodes mit ihrem Tanze „umgarnt“ (bzw. mit dem Schleier der Maya umwebt), so wie auch wir stets Gefahr laufen uns von der Mâyâ buchstäblich bezirzen[6] zu lassen und vom Zentrum an die Peripherie, zu Götzendienst und Kalbs-Tanz, gelockt zu werden. Das höchste Bildnis der zweiteren allerdings gibt uns niemand anders als die allerheiligste Jungfrau Maria; sie ist der ultimative Typus der „offenbarenden“ Weiblichkeit (apocalypsis = „Entschleierung“); sie, die „mit der Sonne bekleidet“ (Off. 12:1) , d.h. ganz „transparent“ für die göttliche Glorie ist und der reinste Abglanz göttlicher Weisheit: „Widerschein des ewigen Lichts und der ungetrübte Spiegel Gottes Kraft, das Bild seiner Vollkommenheit“ (Weis. 7:26); die liturgische Transposition dieser salominischen Weisheits-Hymnik auf die Theotokos ist also mehr als berechtigt - magnificat anima mea Dominum - sowie wir sie auch in der Lauretanischen Litanei als  Speculum iustitiae und Sedes Sapientiae anrufen. Sie ist der "Meerstern", der uns auf unserem Wege durch die Wässer der Zeit den Weg leitet und die Janua Caeli durch die wir - Deo volente - dereinst in das himmlische Vaterland eingehen: 

Maria, Sitz der Weisheit, bitte für uns.

 



[1] Boethius: consonantia est dissimilium inter se vocum in unum redacta concordia (… das Zusammenklingen verschiedener zur Eintracht vereinter Töne)

[2] Das Wort „Kalb“ (egel) ist im Hebräischen synonym mit „Kreis“; eine weitere Emphase der Symbolik von Zentrum und Peripherie, zentrifugal und zentripetal.  

[3] Neumen, Numen, Pneuma.

[4] Der Rausch bzw. Wein (Dioysius) ist in der Bibel ebenfalls auf engste mit dem Symbol-Cluster Musik, Tanz, Zeit, Wasser verbunden.

[5] Mâyâ = Weiblichkeit in divinis.

[6] In den Homerischen Epen ist dieser Doppelcharakter durch Helena (avidyâ-mâyâ) einerseits, welche die Völker in Tod und Krieg „verstrickt“ und Penelope (vidyâ-mâyâ) andrerseits dargestellt, welche den Schleier den sie webt jede Nacht wieder löst und stets in „Ithaka“ (dem Zentrum) bleibt. 

Write a comment

Comments: 1
  • #1

    Ariovist (Wednesday, 29 April 2020 19:39)

    Amen